Verfassung in schlechter Verfassung
Am 3. MĂ€rz 2024 soll ĂŒber die neue Walliser Verfassung abgestimmt werden. Den löblichen Absichten des Verfassungsrates droht Ungemach.
Der Verfassungsrat wollte eine zeitgerechte, moderne Verfassung redigieren. Dabei liess er ausser Acht, dass eine Verfassung nicht modern zu sein hat, sondern zeitlos. Modeerscheinungen kommen und gehen. Nichts veraltet schneller als das so genannt Moderne. Eine Verfassung hat jedoch die Zeit zu ĂŒberdauern und eine Schicksalsgemeinschaft dauerhaft zu begleiten.Â
Eine Verfassung ist auch kein Vormundschaftszeugnis und hat keine Umerziehungsfunktion. Sie ist ein von mĂŒndigen BĂŒrgern beschlossener Gesellschaftsvertrag. PartikularwĂŒnsche, ExtrawĂŒrste und Ausnahmeklauseln haben darin keinen Platz. Es gilt, allgemeingĂŒltige GrundsĂ€tze zu formulieren, die jeder BĂŒrger anzuerkennen hat, jeder, wes Vaters Kind er auch sei.
Der zur Abstimmung vorliegende Verfassungstext ist jedoch ein Sammelsurium an Eingriffen des Staates in die persönliche SphĂ€re, was eine Ausweitung des Staatsapparates zur Folge haben wird. Statt sich auf seine Grundkompetenzen zu konzentrieren, soll der Staat ausufern und sich um allerhand Zeugs kĂŒmmern, das in einer liberal-demokratischen Gesellschaft dem freien Ermessen der BĂŒrger ĂŒberlassen sein sollte. Bei einem solchen Katalog können die Staatskosten nur massiv steigen.
Schon bei der Zusammenstellung des Verfassungsrates entstand eine Verzerrung. Da mischte eine Gruppe mit (Appel citoyen), die linkslastiger war als links-grĂŒn, ausschliesslich aus Vertretern des Welschwallis bestand und sich keiner Wiederwahl stellen muss. Dadurch gestaltete sich der Verfassungsrat weitaus linkslastiger als das regulĂ€re Parlament (15 Sitze des rechten Blocks gingen auf den linken Block ĂŒber). Zudem wurde den Oberwalliser Anliegen weniger Sorge getragen, weil der Appel citoyen keinen einzigen Oberwalliser in seinen Reihen zĂ€hlte.
Die Geschichte hat gezeigt, dass der Zusammenhalt von Staatsgebilden davon abhĂ€ngt, wie sie mit ihren historischen Minderheiten umgehen. Meist wird diesen etwas mehr politische Macht eingerĂ€umt als ihnen eigentlich zustĂŒnde (siehe Berner Jura). Geschieht dies nicht, dann entstehen im Extremfall Situationen wie im Libanon, auf dem Balkan oder in der Ukraine. Da die Anliegen der Oberwalliser Minderheit ungenĂŒgend berĂŒcksichtigt wurden, droht im Fall einer Annahme der neuen Verfassung mittelfristig eventuell die Schaffung eines Halbkantons Oberwallis.
Kommt die Ratlosigkeit gewisser WĂ€hler vor der multiple-choice-Gestaltung des Artikels ĂŒber das AuslĂ€nderwahlrecht hinzu. Angesichts der konstanten Masseneinwanderung und der sich zuspitzenden Situation an der Migrationsfront droht nicht nur dem AuslĂ€nderwahlrechtsartikel ein Nein, sondern dem ganzen Text, der nicht ausgegoren scheint. Nicht zuletzt werden bei der StimmenauszĂ€hlung nicht mehr nur die WĂ€hler, sondern die Einwohner berĂŒcksichtigt werden, was je nach Situation eine bedenkliche Verzerrung der Resultate mit sich bringen wird. Â
Dann sind da noch die Mehrkosten, die zwei zusĂ€tzliche StaatsrĂ€te mit dem dazugehörigen Behördenapparat ausmachen: 100 Millionen (das sind jĂ€hrlich 600 Franken Mehrkosten fĂŒr jede Familie), die immer mehr bĂŒrokratische HĂŒrden, Schikanen und Steuern mit sich bringen. Der BĂŒrger wird dafĂŒr bezahlen, dass ihm der Staat noch stĂ€rker im Nacken hockt. Dazu sagen auch die WirtschaftsverbĂ€nde Nein. Man bedenke, dass die Kosten des Verfassungsrats zu Beginn auf 3 Millionen veranschlagt waren, am Schluss aber 8 Millionen zu Buche standen. Wie soll ein Gremium, das beim eigenen Budget so unverantwortlich mit seiner Finanzierung umging, einen Text produzieren, der einen verantwortlichen Umgang mit Staatsgeldern ermöglicht? Es sei hier noch daran erinnert, dass dem Staatsrat jedes Jahr 800 Millionen fehlen, um sein Budget abschliessen zu können. Und jetzt soll der fehlende Betrag noch massiv vergrössert werden?
Nicht zuletzt spielt die Verfassungsrevision den Ballungszentren in die HĂ€nde und nimmt den Randregionen die letzten politischen Hebel der Selbstbestimmung, weil die historisch gewachsenen dreizehn Bezirke sechs Wahlkreisen weichen sollen.Â
Kommt im staatspolitischen Bereich hinzu, dass jeder BĂŒrger unter Vorweisung von 200 Unterschriften einen Vorstoss im Parlament einreichen kann, der die gleiche rechtliche Stellung hat wie ein parlamentarischer Vorstoss. Nun stehen aber hinter jedem gewĂ€hlten Grossrat 5000 (!) BĂŒrger. Und die sollen gleichviel wiegen wie 200? Was fĂŒr ein seltsames DemokratieverstĂ€ndnis! Und das fĂŒr Mehrkosten von 20 Millionen fĂŒr den Parlamentsbetrieb. Da wird nicht nur mit der grossen Kelle, sondern geradezu mit der Schaufel angerichtet!
Fazit: Der Verfassungsrat wurde in links-grĂŒn-veganen Hurrazeiten gebildet. Das politische Umfeld hat sich jedoch geĂ€ndert. Die Basissorgen der BĂŒrger melden sich zurĂŒck. Die Lust nach einer Schönwetterverfassung ist geschwunden, weil das BewĂ€hrte mehr Sicherheit verspricht. Eine Teilrevision der Verfassung durch das regulĂ€re Parlament hĂ€tte vor dem Volk viel bessere Chancen gehabt.
Nun kumulieren sich die AblehnungsgrĂŒnde: Die Parteilandschaft ist gespalten, das Oberwallis, die Unterwalliser SeitentĂ€ler und die Wirtschaft werden massiv Nein stimmen, die Unterwalliser StĂ€dte Ja. Ob das fĂŒr eine Annahme genĂŒgt?
Quis scid quid venit.
Der frĂŒhere Gymnasiallehrer Oskar Freysinger ist 64 Jahre alt, wohnt in SaviĂšse bei Sitten (VS) und ist Vater von drei Kindern und fĂŒnf Kleinkindern. Er war Nationalrat und Staatsrat. Heute ist er tĂ€tig als freier Schriftsteller, Songwriter und Ăbersetzer.
Seit Januar 2024 prÀsentiert Der Frei Singer alle zwei Wochen zwei neue Mundartlieder. Er hofft dadurch dem abartig-schönsten Schweizer Dialekt, dem Oberwallisertitsch, die Ehre zu erweisen, die es verdient.
Zum Frei Singer: tvoberwallis.tv/der-frei-singer
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Wir danken dem Autor fĂŒr die Veröffentlichung des Artikels. GastbeitrĂ€ge mĂŒssen nicht zwangslĂ€ufig die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.